3. April 2024

„Ohne Musik kann ich nicht“

Von nst5

Simon Deregowski brennt für die Musik.

In seinen Songs gibt er Einblick in das, was ihn bewegt – und bewegt damit andere Menschen.


„Bin nach Berlin gefahren, fühlte sich richtig an. Vielleicht wollt ich ja nur mal wissen, wie das ist.“ Hinter diesen Zeilen aus dem Song „Berlin“ steckt viel mehr als eine Reise in die Großstadt. Simon Deregowski hat ihn geschrieben, als ihm klar geworden ist, dass sein Glück nicht daran hängt, mit seiner Musik große Stadien zu füllen. Songs zu schreiben und zu performen, ist für ihn einfach ein Bedürfnis, eine Möglichkeit, sich selbst auszudrücken. „Früher hab ich oft gedacht, ich wär dafür gemacht, Arena voll und auf den Bierdächern steht dann mein Name“, singt Simon in „Berlin“.

Fotos auf dieser Seite: (c) Viktoria Bock, Frederik Löwer, Filip Schlembach/DETAYS

Dorthin gefahren war er, weil einer der Talentscouts der Musikshow „The Voice of Germany“ ihn zu einem Casting eingeladen hatte. Simon war skeptisch, machte sich schließlich aber doch auf den Weg in die Hauptstadt. Was er dort erlebt hat, beschreibt der Song so: „Musste mich messen mit den größten Bestien, nur damit ich besser fühle. Bis meine Ängste kicken und ich endlich blick, dass ich auch so genüge.“ Die Erkenntnis, dass dies nicht der passende nächste Schritt ist, das Gefühl, nicht am richtigen Ort zu sein, haben ihn bewogen, Berlin schnell wieder den Rücken zuzukehren: „Bin noch am selben Tag wieder zurückgefahrn. Vielleicht war mir diese Stadt bisschen groß für mich.“
Wenn Simon über seine Musik spricht, wird schon nach wenigen Worten klar, wie sehr er dafür brennt. „Musik machen ist voll mein Ding“, sagt der 28-jährige Kölner. Einen Tag in der Woche hat er ganz dafür reserviert. Jeden Mittwoch macht er nichts anderes als neue Songs zu schreiben und zu produzieren. An den vier anderen Arbeitstagen ist er als Creative Producer für Farhouse Media tätig, ein Produktionshaus für audiovisuelle Medien. An seiner Tätigkeit dort mag Simon, dass sie viel zu tun hat mit Sachen, die ihn interessieren. Er produziert Musik für Funk und Fernsehen und ist für den kreativen Inhalt von Deutschlands größtem Musikaward – der 1Live-Krone – verantwortlich.
Dass Musik etwas sein könnte, mit dem er später einmal Geld verdient, hat sich für Simon während eines Auslandsjahres in einer Siedlung der Fokolar-Bewegung in Argentinien herauskristallisiert. „Während dieser Zeit dachte ich eigentlich, ich würde nach meiner Rückkehr Sportmanagement studieren“, erzählt Simon. In Argentinien macht er aber viel Musik. Seit seiner Kindheit spielt er Schlagzeug; nun bringt er sich das Gitarrespielen bei. Gemeinsam mit anderen spielt und singt er oft in Gottesdiensten oder bei Veranstaltungen und produziert sogar einen Song („Dreams“) samt Musikvideo. Darin stellt er sich und den anderen Jugendlichen, mit denen er zusammenlebt, die Frage: „What do you wanna see, when you look into the mirror?“ Mit der Zeit wird ihm immer klarer, was er sehen will, wenn er sich selbst den Spiegel vorhält: Die Leidenschaft soll ein Beruf werden.

Zurück in Deutschland studiert Simon an der Universität Paderborn Popmusik. Dort lernt er seine Freunde Bastian Ahlfänger, Sebastian Brinkmann und Hardy Haufe kennen. Die vier gründen die Band DETAYS, in der Simon singt. Außerdem schreibt er mit an der Musik der Band, vor allem aber Texte für die Songs. Eine Zeit lang fragen die vier sich, ob sie allein von der Musik ihren Lebensunterhalt bestreiten könnten. 2018 spielen sie vierzig Konzerte. Doch sie machen auch die Erfahrung, was für ein hartes Geschäft die Musik ist. Als sie es beim Emergenza Bandcontest unter die letzten von über 4000 internationalen Teilnehmenden schaffen, wird ein Musikmanager auf sie aufmerksam und macht ihnen Hoffnung auf einen Vertrag bei Warner Music. „Er hat uns total viel versprochen und große Wünsche in uns geweckt“, erinnert sich Simon. „Doch von einem Tag auf den anderen haben wir nichts mehr von ihm gehört. Es war gar nicht so leicht, damit umzugehen.“ Diese Enttäuschung hinterlässt Spuren bei den Jungs von DETAYS.
Und auch die Coronapandemie trifft Band und Musikbranche hart. DETAYS kann nicht auftreten und die vier jungen Männer gehen andere Wege. Zwei von ihnen ziehen nach Hamburg; das macht persönliche Treffen schwieriger. Einer entscheidet sich, die Band zu verlassen: Er möchte sich dem psychischen Druck eines Lebens für die Musik nicht mehr aussetzen. So liegt ihre Zusammenarbeit zurzeit auf Eis. Für Simon ist dies alles Anlass, darüber nachzudenken, wofür er eigentlich Musik macht. Die Antwort ist einfach: „Ich mache Musik, weil ich ohne gar nicht kann. Seit mir das klar ist, ist es mir auch egaler, wenn der Erfolg mal ausbleibt.“

Und was Erfolg ist, dafür gibt es in Simons Augen durchaus unterschiedliche Definitionen. Ihm ist wichtig, dass er mit seinen Songs Menschen erreicht. Deshalb freut er sich am meisten, wenn ein Lied bei anderen auf Resonanz trifft. Nachdem er etwa „Berlin“ veröffentlicht hatte, erhielt er einige Rückmeldungen von Menschen, die sich in vergleichbaren Situationen wiederfinden. Eine junge Frau, die gerade in einem ihr fremden Land lebte, umgeben von vielen Menschen, die ihr fremd waren, sagte Simon, wie sehr sie sich von „Berlin“ angesprochen fühlte. Ähnlich wie im Song hatte sie den Eindruck, dass ihr alles einfach zu viel war. Und so erzählt „Berlin“ nicht länger nur Simons Geschichte, sondern auch die der jungen Frau. Diese Art von Erfahrungen und Reaktionen sind Simon wichtiger, als auf großen Bühnen zu stehen. Musik ist für ihn immer auch eine Botschaft; sie transportiert Gefühle oder ein Thema. Letztlich ist sie Kommunikation.
Überhaupt ist die Begegnung mit anderen Menschen etwas, woran Simon viel liegt. Für den Radiosender 1Live schreibt und spricht er seit einigen Jahren Kommentare für die Sendung „Kirche in 1Live“. In einem Kommentar aus der Zeit der Pandemie berichtet er von einem Abend mit einer Freundin und drei Freunden in der WG. Irgendwie ergab es sich, dass Simon sie fragte: „Woran glaubt ihr eigentlich?“ Die Antworten waren sehr verschieden und Religion spielte praktisch keine Rolle. Trotzdem war für Simon, für den sein christlicher Glaube trotz mancher Fragen eine große Bedeutung hat, eine starke Verbundenheit zu spüren. „Wir teilen ähnliche Werte. Und auch wenn unser persönlicher Glaube jeweils ganz verschieden ist, bewegt er uns doch, unsre Werte auf bestimmte Weise zu leben“, erklärt Simon.

Diese Sichtweise prägt auch sein Bild der Kirche. „Die Kirche sollte die Gemeinschaft aller sein, die an Gott glauben“, sagt er in seinem Radiokommentar. Er hat absolut kein Verständnis dafür, dass die Kirche Menschen ausgrenzt, die ihren Ansprüchen nicht genügen, Menschen in homosexuellen Beziehungen beispielsweise. Und fragt sich, warum es diese Ansprüche überhaupt gibt. Auch mit der traditionellen Liturgie und vor allem Kirchenmusik hat er so seine Schwierigkeiten. Ihm ist schleierhaft, wer einst auf die Idee kam, die Orgel könnte ein gutes Begleitinstrument sein. Viel zu laut, viel zu pompös ist sie in seinen Ohren, übertönt alles andere. Für ihn sollte Musik in der Kirche Spaß machen, die Menschen in dem unterstützen, was sie sind: in ihrer ganzen Individualität und Sensibilität. Er hat Mühe zu verstehen, warum Kirche sich da nicht weiterentwickelt. Früher sei sie doch auch immer weit vorn dabei gewesen: in der Architektur, der Musik. Heute mache sie jedoch noch genau das Gleiche wie vor Hunderten von Jahren.
Simon kann nachvollziehen, wenn Menschen sich enttäuscht und wütend von der Kirche abwenden. Die Berichterstattung über das Fehlverhalten hochrangiger Kirchenvertreter lässt auch ihn nicht kalt. Aber seine Antwort darauf ist eindeutig: „Die scheiß Kirche macht mir nicht meinen Glauben kaputt!“ So hat er einen seiner Radiokommentare begonnen. Und allein die Tatsache, dass er in einer von der Kirche finanzierten Sendung solche Sätze sagen darf, lässt ihn hoffen, dass Kirche sich doch verändern kann. Was jenseits von Kirche sein Glaube für ihn bedeutet, erklärt Simon auch in besagtem Kommentar. Glauben hat für ihn viel damit zu tun, sich nicht unterkriegen zu lassen, in schwierigen Situationen neue Möglichkeiten zu suchen. Er ist davon überzeugt, dass der Glaube Berge versetzen kann, auch und gerade im Innern der Kirche.
In seinem Freundeskreis gibt es einige Menschen, die das ähnlich sehen. Gemeinsam mit ihnen versucht er die Herausforderungen anzunehmen, vor die Kirche ihn stellt. Die Gemeinschaft mit Gleichgesinnten hilft ihm auch, sich dabei selbst treu zu bleiben. 2018 hatten er und ein Freund jeweils einen Song für das Genfest, ein großes internationales Jugendfestival der Fokolar-Bewegung, geschrieben. Für die beiden war es ziemlich befremdlich, als plötzlich die verschiedensten Leute begannen, die Lieder umzuschreiben. Als ihnen dann noch eröffnet wurde, dass die Tontechnik in der Halle nicht gut genug für einen Live-Auftritt sei und sie Playback singen sollten, traf sich die Gruppe, die für die Musik verantwortlich war, zu einer Krisensitzung. „Wir haben uns entschieden zur Wehr gesetzt und trotzdem live gesungen“, erzählt Simon. Die Veränderungen an den Songs hat er dennoch akzeptiert. Mindestens ebenso wichtig wie der künstlerische Anspruch war für ihn, offen für andere Meinungen zu sein. Und so gehört auch das Ringen um eine Lösung, die für alle tragbar ist, zu seinem Engagement.

Ringen muss Simon bisweilen auch mit sich selbst, wenn er seine Songs schreibt. Das gilt für allem für deutsche Texte. Es verlangt ihm einiges ab, die Dinge wirklich auf den Punkt zu bringen. Dafür muss er sich intensiv mit seinen Emotionen und Gedanken auseinandersetzen. Das ist nicht immer einfach. „Was leicht klingt, hat sich nicht immer leicht angefühlt“, erklärt Simon. Und setzt hinzu: „Und das ist auch gut so.“ Lieder schreiben ist für ihn auch eine Form von Eigentherapie. Es tut ihm psychisch gut, hilft ihm, den Kopf freizukriegen. Am Anfang von „Berlin“ klingt das Ergebnis solch einer inneren Auseinandersetzung so: „Hey das is’n happy Song, doch keiner weiß davon. Wenn mir was wichtig war, bin ich immer still geworden. Und wenn ich glücklich bin, versteck ich’s in mir drin. Wenn mir was kostbar ist, hab ich Angst, es klappt dann nicht.“
Die große Offenheit, die aus diesem Song spricht, prägt auch andere Bereiche seines Lebens. Simon macht keinen Hehl daraus, dass er keinen Masterplan hat: für sein Leben nicht, für die Kirche nicht und auch nicht für die Welt. Aber man spürt in allem, was er sagt und tut, dass er große Lust hat, Dinge auszuprobieren, sich Fragen zu stellen und infrage zu stellen. Und manchmal einfach loszugehen. So wie er es im Song „Weg und doch hier“ singt, den er gemeinsam mit seinen Bandkollegen für DETAYS geschrieben hat: „Ich kann die Straße nicht mehr sehn und merk doch, wie ich rübergeh.“
Katharina Wild

Hier kann man den Song „Berlin“ hören: https://www.youtube.com/watch?v=KJtdvG47Gas





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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, März/April 2024.
(c) Alle Rechte bei Verlag Neue Stadt, München.
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