13. Juni 2024

Nägel mit Köpfen

Von nst5

Wenn es um Entscheidungen im Zusammenleben geht, kann es mir nicht schnell genug gehen.

Ich habe Mühe zu verstehen, dass andere immer und immer wieder zwischen den verschiedenen Möglichkeiten abwägen. Ist es möglich, das Warten einzuüben? Kann es sogar fruchtbar werden?

Theresa Gaube
Studentin, Augsburg
Warten heißt geduldig sein und erfordert Zeit. Zeit aber ist heutzutage ein kostbares Gut. Wir haben volle Terminkalender, und Warten erscheint uns Zeitverschwendung zu sein. Dennoch finde ich, dass – gerade bei Fragen der Lebensweise und der Werte – abwarten, geduldig sein, sich Zeit zum Nachdenken lassen wichtig ist. Eine Zeit des Wartens ist auch eine Zeit des Wachsens und des Reifens. Eine Zeit, in der nicht nur ich an mir arbeiten kann, sondern in der in erster Linie Gott an mir arbeitet. Ich kann lernen, Gott zu vertrauen und ihm die Zeitplanung zu überlassen; so lange zu warten, bis er das „Go“ gibt, aktiv zu werden.
Andere Fragen wiederum sind es nicht wert, dass ich viel Zeit investiere. Wenn ich am Wochenende mit meiner Schwester im Kino bin und merke, dass wir uns für den falschen Film entschieden haben, ist das höchstens ärgerlich, wird aber eher nicht dazu führen, dass ich den Sinn meines Lebens verfehle.
Was für die eigenen Entscheidungen gilt, ist auch für die der Mitmenschen richtig. Es ist gut, ihnen die benötigte Zeit für wichtige Entscheidungen zu lassen. Auch wenn ich selbst schneller entscheiden könnte, ist das eine Möglichkeit, sie zu lieben. Andererseits kann es auch ein Ausdruck der Liebe sein, ihnen bei unwichtigen Entscheidungen zu helfen, sich nicht im Abwägen der Möglichkeiten zu verlieren.

Volker Birke
Ehe-, Familien- und Lebensberater, Hagen
Im Möbelhaus werde ich unfreiwillig Zeuge eines Streitgesprächs. Ein junges Paar will eine Küche kaufen. Er hat nach wenigen Minuten eine klare Vorstellung und möchte Nägel mit Köpfen machen. Sie überlegt immer wieder hin und her, ob die einzelnen Farben und Materialien zusammenpassen. Auf sein Drängen hin, sich endlich zu entscheiden, reagiert sie gekränkt: „Ich dachte, das hier ist unser Ding. Aber du interessierst dich gar nicht dafür.“
Entscheidungen zu treffen ist keine einfache Angelegenheit. Unser Gehirn ist überfordert, wenn es unter hohem Zeitdruck komplexe Abwägungen vornehmen soll. Es bildet für den Ernstfall sogenannte somatische Marker, eine Art im Körper gespeichertes Erfahrungswissen. Wer sich einmal erfolgreich für eine bestimmte Richtung entschieden hat, neigt dazu, es wieder zu tun, um auf diese Weise die Entscheidungsfindung zu vereinfachen. Diese Form des Energiesparens kennt jedoch ihren Preis: Mit der Zeit können sich starre Denkmuster und Betriebsblindheit entwickeln.
Für das junge Paar im Möbelhaus spielt noch ein anderer Aspekt eine Rolle. Während es ihm auf das Ergebnis ankommt, ist sie daran interessiert, den Prozess gemeinsam zu durchleben. Miteinander zu entscheiden und Dinge abzuwägen schafft ein Gefühl der Verbindung und Vertrautheit. Warten zu können, ist also gut für die Beziehung – und vielleicht auch für die Qualität der Entscheidungen.

Monika Remedios
Lehrerin und Mutter, Riedstadt
Wenn es nicht um einen Notfall geht, wo jede Sekunde zählt und eine Entscheidung sofort getroffen werden muss, dann kann ich mich sehr gut in beide Seiten einfühlen – sowohl in den Wunsch nach einer schnellen Entscheidung wie in das sorgsame Abwägen. Ich muss dabei vor allem an das Zusammenleben mit Kindern denken. Manchmal steht das Kind vor einer winzigen Entscheidung (rotes oder gelbes Gummibärchen) und braucht eine Ewigkeit, um sie zu treffen. Andere Male (beim Basteln) muss es so schnell gehen, dass es gleich im ersten Schritt unüberlegt einen Fehler macht und es dann Frust sowohl beim Kind als auch bei den Eltern gibt.
Mein Trick ist: Ich erinnere mich immer wieder neu daran, dass es nicht darum geht, wer recht hat, wer schneller entscheidet oder wer bessere Argumente hat, sondern dass die Beziehung, die Liebe zwischen uns, immer wichtiger ist und somit Vorrang hat. Wenn ich das vor Augen habe, bin ich auf einmal offen für andere Optionen und neue Ideen. Dann kann ich Geduld haben, aber auch frei dafür sein, wenn der andere schnell entscheidet, und seiner Entscheidung trauen.
Am schönsten ist es aber, wenn aus dem Zusammenleben eine dritte, neue, ganz andere Lösung hervorgeht, mit der irgendwie keiner gerechnet hat, aber jeder zufrieden und sogar glücklich ist!


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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, Mai/Juni 2024.
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