Realistische Hoffnung
Genfeste, weltweite, große Treffen von Jugendlichen,
die den Lebensstil der Fokolar-Bewegung teilen oder kennenlernen wollen, gibt es seit 1973. Das zwölfte hat im Juli in Brasilien stattgefunden. Was hat es ausgemacht?

Brasilien. 12. bis 24. Juli. Etwa 4000 junge Menschen aus 50 Ländern kommen zwei Wochen lang zusammen. Zum Genfest. „Gen“ steht für „New Generation“, die Bezeichnung der jungen Leute, die dem Lebensstil der Fokolar-Bewegung verbunden sind. Diese zwölfte Ausgabe findet erstmals in Südamerika statt. Ergänzt wird sie durch 40 „lokale“ Genfeste in 29 Ländern rund um den Globus – eines davon auch in Ottmaring bei Augsburg. (s. Info-Kasten unten)
„Together to care“. Der Titel ist schwer zu übersetzen; „sich gemeinsam kümmern“ vielleicht. Tatsächlich startet das Genfest mit einer „Sozialwoche“: Die meisten der jungen Teilnehmenden krempeln sich dabei in verschiedenen Ländern des südamerikanischen Kontinents die Ärmel hoch und bringen sich in zahlreichen Sozialprojekten ein. Offensichtlich wollen sie nicht nur reden, sondern auch konkrete Zeichen setzen.

Foto: (c) Emanuela Chiapparini
Aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben sich 45 junge Leute auf den Weg nach Brasilien gemacht. Im Umfeld der dortigen Fokolar-Siedlung, der „Mariapoli Ginetta“ vor den Toren der Metropole São Paulo, waren sie in Projekte eingebunden: mit jugendlichen und erwachsenen Obdachlosen; mit Menschen, die als Nachkommen von Sklaven noch immer sozial und wirtschaftlich ausgegrenzt sind; in Aktivitäten zur sinnvollen Freizeitgestaltung von Kindern und Jugendlichen; in einen Kreativ-Basar und bei der „Instandhaltung von Häusern und Gärten“. Beeindruckt hat sie vor allem „der unmittelbare Kontakt mit der brasilianischen Kultur“, dass sie so „herzlich aufgenommen“ wurden und dabei „intensive Beziehungen“ knüpfen und „tiefe Gespräche“ führen konnten. Übereinstimmend berichten Celina Mayr aus Innsbruck, Manuel Ledergerber aus Zürich und Julie Rothmann aus Erfurt, dass diese erste Woche für sie der „schönste“ und „beste“ Teil des Genfestes war. Erst im zweiten Anlauf kommen sie auch darauf zu sprechen, wie „schockierend“ viele in der Gruppe den Kontrast zwischen Arm und Reich und die Umweltverschmutzung empfanden.

Ganz anders die zweite Etappe: Vom 19. bis 24. Juli kamen die jungen Leute in Aparecida, dem größten Wallfahrtsort Brasiliens, zusammen. In einer Sportarena. Teile des Programms werden weltweit gestreamt. Die Übersetzung funktioniert nicht so gut und wer nicht portugiesisch versteht, tut sich auch in der Arena schwer.
Musik, Tanz, Choreografien, traditionelle – vor allem südamerikanische – und moderne Rhythmen verleihen dem Zusammenkommen immer wieder einen frohen und heiteren Festival-Charakter. In den Pausen und beim Mittagessen sind persönliche Begegnungen möglich – ein Vorteil der im Vergleich zu Vorgängerversionen deutlich kleineren Teilnehmerzahl, den die Jugendlichen auch dazu nutzten, mit denen zu sprechen, die vorher auf der Bühne erzählt haben.

Dort bringen schon zu Beginn des Programms junge Menschen aus verschiedenen Ländern Sorgen und Ängste zum Ausdruck, bringen ihre Sehnsüchte ein und entzünden „ein Licht der Hoffnung“ – „auf eine sozial gerechte Welt“, „auf echten, tragfähigen Frieden“, „auf eine ökologische Wende“, „auf eine realistische Zuversicht“.
Berührende Erfahrungsberichte ermöglichen an zwei Tagen tiefe Einblicke in die Lebenswelten. Sie erzählen von Naturkatastrophen, die infolge des Klimawandels ihre Regionen schwer getroffen haben, vom Leben als Flüchtling in einem fremden Land, von psychischen Krankheiten, erfahrenem Mobbing, der Ausgrenzung als Angehörige eines indigenen Volkes.

Foto: (c) Emanuela Chiapparini
Da ist der junge Mann, der als Sechsjähriger zusammen mit Kindern seines Dorfes von Rebellen entführt wurde und zehn Jahre als Kindersoldat mit ihnen durchs Land ziehen musste. Nach seiner Flucht aus der Gruppe fand er Aufnahme bei Ordensleuten. Jetzt sagte er: „Früher war der Tod meine Lebensaufgabe, heute setze ich mich für Vergebung und Frieden ein.“
Oder die junge Syrerin, die 16 Jahre alt war, als der Krieg begann. Wenn sie morgens zur Schule ging, wusste sie nicht, ob sie abends ihre Familie wieder treffen würde. Viele ihrer Freunde haben inzwischen das Land verlassen und angesichts des Erdbebens vor einem Jahr fragte sie sich: „Warum auch das noch?“ Trotzdem fand sie mit anderen die Kraft, sich für die einzusetzen, die der Krieg obdachlos gemacht hat, und erfährt: „Gott bleibt.“
Unterlegt mit Bildern auf der Großleinwand macht das Eindruck: „Mir war bewusst, dass es Kindersoldaten gibt. Aber diesen Menschen zu sehen, der die Welt so ganz anders erfahren hat als ich und zu wissen, dass wir trotzdem Teil derselben Welt sind“, das ging nicht nur Julie unter die Haut.
Die Augen nicht vor der Realität verschließen, hinschauen und sich fragen, was kann ich tun? – So könnte man viele weitere Beiträge überschreiben. Wie den einer Gruppe aus Turin: Einer von ihnen wollte mehr wissen von den Obdachlosen, an denen er täglich vorbeiging. Er begann, sie anzusprechen. Jetzt geht die Gruppe jeden Sonntagnachmittag gemeinsam hin, „nicht aus Mitleid“, sondern um Beziehungen auf Augenhöhe zu knüpfen, und sie entdecken Personen und ihre Schicksale.
Oder im Projekt „Casa do Menhor“ (dt.: Jugendhaus) im Nordosten Brasiliens, wo Musik jungen Menschen nach Erfahrungen von (sexualisierter) Gewalt hilft, eigene Talente zu entdecken und sie mit anderen ins Spiel zu bringen.
Sie haben nichts schön geredet. Dennoch blitzte auf, wie sehr es die eigene Lage und die anderer verändern kann, wenn einer anfängt, etwas zu tun – und sich auch mit anderen verbündet. Ohne die Schwierigkeiten auszublenden, machten sie einander so Mut.

Foto: (c) Emanuela Chiapparini
Klimawandel und Umweltschutz, soziale Ungerechtigkeit, Arbeitswelt, gerechte Wirtschaftsordnung, interkultureller Dialog. Zu diesen und weiteren Themen konnten sich die jungen Leute anschließend zwei Tage mit Experten in einer Art Workshops, den „United World Communities“, zusammenfinden. Ziel war es, diese Themenbereiche gemeinsam und generationenübergreifend zu vertiefen, an Lösungsvorschlägen zu arbeiten und diese zukünftig umzusetzen. Nicht nur Julie, Celina und Manuel haben in diesen Communities sehr unterschiedliche, teilweise auch „chaotische“ Erfahrungen gemacht. Idealerweise hätten sie – wie Fokolarpräsidentin Margaret Karram es abschließend ausdrückte – das Potenzial, das Genfest in kleinen „Zellen der Einheit“ fortzusetzen, sich auch zurück im eigenen Umfeld für eine bessere, geschwisterliche Welt einzusetzen – und sich dafür auch mit anderen zu verbünden. Es bleibt abzuwarten, wie sehr diese Idee greifen wird.
Unsere Welt zeigt sich keineswegs von ihrer rosaroten Seite. Das schürt Unsicherheit – auch bei jungen Menschen. Sozialforscher sprechen von „bröckelndem Zukunftsoptimismus“ und dem „Verlust des Vertrauens in die Beeinflussbarkeit der persönlichen und gesellschaftlichen Lebensbedingungen.“
Vieles bei diesem Genfest hat gezeigt, dass diese jungen Menschen sich ihrem Leben und dieser Welt stellen. Das kann nicht nur ihnen selbst Hoffnung machen.
Gabi Ballweg

Foto: (c) Imprensa Genfest 2024 – CSC Audiovisivi
Genfest – zeitgleich an 40 Orten weltweit:
Parallel oder zeitversetzt zum großen Event in Brasilien fanden an 40 Orten lokale Genfeste statt. So trafen sich gut 100 Jugendliche und junge Erwachsene 25 verschiedener Nationalitäten am Wochenende des Genfests in Ottmaring bei Augsburg. Kennzeichnend auch hier die Erfahrung einer starken, tiefen und offenen Gemeinschaft untereinander und der Einsatz für andere. So schwärmten sie am Samstagnachmittag in die Umgebung aus und nutzten die Chance, gemeinsam ein Zeichen für Solidarität, Fürsorge und generationsübergreifendes Miteinander zu setzen: in einem Seniorenzentrum, einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung, bei einer Müllsammelaktion am Lechufer, zusammen mit ukrainischen Flüchtlingen.
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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, September/Oktober 2024.
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