Im Tempo des anderen
Junge Erwachsene stehen vor einer ganzen Reihe von Entscheidungen,
die ihren Lebensweg maßgeblich prägen. Wie kann eine gute Begleitung aussehen, die sie stärkt, ohne sie zu bevormunden?
Klaus Hofstetter
Katholischer Priester, München
„Was willst du, dass ich dir tue?“ – diese Frage von Jesus an den blinden Bartimäus ist für mich klare Orientierung in der Begleitung von Menschen (vgl. Markus 10,46-52). Der junge Bartimäus geht auf Jesus zu, der bestimmt gesehen hat, dass dieser nicht sieht. Ist doch klar, dass er wieder sehen können mag! Doch Jesus bevormundet diesen Menschen nicht. Nimmt nichts vorweg. Vielmehr fragt er ihn: „Was willst du? Du bist das Subjekt deines Lebens, deines Handelns, deiner Entscheidungen!“
Als Priester in der Berufungspastoral kommen viele Menschen zu mir, weil sie vor einer Entscheidung stehen. Und manch einer dieser Menschen fragt mich direkt, was ich denn meine, dass er tun solle. Da muss ich ihn enttäuschen. Das, was ich als Begleitender tue, ist: Informationen geben; helfen, genauer hinzuschauen und hinzuhören; helfen nachzuspüren, was zu mehr Leben führt; Entscheidungshilfen anbieten. Nicht weniger, aber eben auch nicht mehr. Und all das in ehrlicher, transparenter und wertschätzender Weise. Und ich kann die zu begleitende Person stärken in ihren Talenten, Fähigkeiten und Charismen sowie mein Gebet versichern.
Das sind Facetten guter Begleitung aus christlichem Geist heraus. Eine schöne Aufgabe.
Maria Chiara Levorato
Sprach- und Literaturwissenschaftlerin und Begleiterin, Wien
Gute Begleitung heißt für mich, mit der begleiteten Person ihren Weg in ihrem Tempo mitgehen: Das bedeutet, auf keinen Fall einen Schritt voraussehen oder gar für sie tun.
Mir selbst ist es mehrmals passiert, dass jemand, die oder der angeblich mehr Lebenserfahrung hatte, mich bevormundet hat. Aufgrund dieser Erfahrungen reagiere ich allergisch auf solches Verhalten.
Als Begleiterin von jungen Erwachsenen ist es mir wichtig, ihnen das Gefühl einer liebevollen Nähe, aber auch einer respektvollen Distanz zu vermitteln, die es ihnen ermöglicht, sich frei und in keiner Weise beeinflusst auf ihrem Weg zu bewegen. Ich lebe ihre Fragen mit (Welchen Beruf möchte ich überhaupt lernen? Lasse ich mich auf diese Beziehung ein? Ich fühle mich nicht mehr an meinem Platz – und jetzt?), ohne sie beantworten zu wollen.
Gemeinsam auf dem Weg sein heißt auch, Durststrecken mit ihnen auszuhalten, bei denen alles wackelt und Ängste überhandnehmen. Aufgrund von Enttäuschungen hören junge Menschen manchmal auf zu träumen. Sie verzichten lieber darauf, große Pläne zu haben und Ideale in sich leben zu lassen, als erneut enttäuscht zu werden. Besonders in diesen Momenten möchte ich ihnen beistehen, Mut machen und Resonanz geben; nicht, weil ich „lebenserfahren“ bin, sondern weil ich an sie glaube und möchte, dass sie ihren Platz finden und glücklich sind.
Sebastian Baumann
Psychotherapeut, Mannheim
Wie schön, wenn junge Erwachsene begleitet werden! Ein paar Gedanken dazu, worauf es dabei ankommen könnte.
- Einen Raum bieten, in dem der junge Erwachsene im Mittelpunkt stehen kann;
- Anregen, „groß“ zu denken, also nicht zu schnell Probleme zu sehen oder auf Realisierbarkeit hinzuweisen – das kann später immer noch kommen;
- Mut machen, an den jungen Erwachsenen glauben – und ihm das auch sagen;
- Wenn eine gute Beziehung besteht, sollte die Begleiterin oder der Begleiter ganz besonders darauf achten, nicht nur Wege anzuregen, die mit eigenen Überzeugungen einhergehen. Es könnte sonst passieren, dass sie nur dem Begleiter zuliebe eingeschlagen werden.
- Natürlich hat ein Begleitender eigene Meinungen und Erfahrungen. Es ist kein Widerspruch zum bisher Gesagten, diese Meinung auch weiterzugeben. Sie sollte aber so formuliert werden, dass die begleitete Person sie ablehnen kann. Sie sollte Entscheidungen treffen können, die anecken. In Beziehungen, in denen Verständigung und Einigung wichtige Werte sind, besteht sonst die Gefahr, es dem anderen, der sich schon so liebevoll um einen kümmert, recht machen zu wollen.
- Es geht um den Lebensweg eines anderen Menschen! Nur sie oder er selbst kann für die getroffenen Entscheidungen die Verantwortung übernehmen.
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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, November/Dezember 2024.
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