4. April 2025

Fragen statt schweigen

Von nst5

„Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“,

lautet ein vielzitiertes Sprichwort. Gegenüber Vielrednern mag das ein wertvoller Hinweis sein. Aber was ist mit Menschen, die gerne vornehm schweigen? Wie ermutigt man sie dazu, sich einzubringen, Anteil zu geben?

Johannes Wehr
Schulleiter, Memmingen
Kommunikation und Austausch sind grundlegend wichtig für zwischenmenschliche Beziehungen. Doch was, wenn Schweigen den Dialog blockiert? Schweigsame Menschen brauchen neben einer vertrauensvollen Atmosphäre und aktivem Zuhören oft einen Anstoß, um sich öffnen zu können.
Offene Fragen, also keine Ja-Nein-Fragen, wie „Wie siehst du das?“, „Was denkst du darüber?“ oder „Wie hast du das erlebt?“ wecken Neugier und laden zu einem echten Austausch ein.
Noch wirkungsvoller ist es, Schweigende selbst zu Fragestellern zu machen. Ein Impuls wie: „[Name], wenn du uns eine Frage stellen könntest, welche wäre das?“, regt Kreativität an und gibt Raum, eigene Interessen einzubringen.
Während die bisher schweigende Person über eine Frage nachdenkt und sie stellt, vollzieht sie unbewusst einen Perspektivwechsel – ein erster Schritt, um die eigene Zurückhaltung zu überwinden. Wer selbst fragt, tritt aus der Distanz heraus, wird aktiver Teil des Austauschs und kann sich somit leichter einbringen.
Kommunikation wird so von einer Einbahnstraße zu einem echten Miteinander – ein Geben und Nehmen, das bereichert und verbindet.

Gertrude Pühringer
Lehrerin, Engerwitzdorf/Linz
Vor einiger Zeit kam ich aufgewühlt von einer Besprechung nach Hause. Viele Fragezeichen schwirrten in meinem Kopf. Eigentlich tausche ich mich schnell mit anderen aus, wenn mich etwas beschäftigt, doch diesmal schwieg ich, um mich nicht nochmals mit der Problematik auseinandersetzen zu müssen. Als mein Mann am Abend fragte, was los sei, sagte ich nur, ich sei erschöpft und müde, obwohl ich eigentlich in mir keinen Frieden hatte. Erst im Bett fand ich durch das vorsichtige Nachfragen meines Mannes, was denn bei der Besprechung war, den Mut, ihm all meine Sorgen anzuvertrauen. Er hörte zu, schwieg, stellte Fragen und half mir, meine Gedanken zu ordnen. Nach einer Stunde intensiven Gesprächs waren wir zwar müde, doch mein Wirrwarr war einer Ruhe gewichen. Ich fühlte mich entlastet, weil jemand meinen Schmerz mit mir teilte.
Warum erzähle ich das? Weil ich überzeugt bin, dass Kommunikation beides braucht: Schweigen und Reden. Damit jemand sprechen kann, muss der andere schweigen. Ich selbst tue mich oft schwer mit der Stille in Gesprächen, erkenne aber, dass sie nicht immer „peinlich“ ist, sondern wichtig sein kann – vor allem, wenn mein Gegenüber nach Worten ringt.
Hätte mein Mann nicht geschwiegen, hätte mich die Situation wohl noch lange belastet.

Volker Birke
Ehe-, Familien- und Lebensberater, Hagen
In meiner Ausbildung sollten wir einer erfahrenen Kollegin unsere Befürchtungen mit Blick auf die zukünftige Tätigkeit schildern. Übereinstimmend dachten wir, durch ungeschicktes Fragen negative Gefühle zu erzeugen oder gar traumatische Erinnerungen hervorzurufen, sei das Schlimmste, was uns Berufsanfängern passieren könne. Die Kollegin widersprach: „Das Schlimmste ist: Wenn gar nichts passiert!“
In manch endlos scheinender Beratungssitzung habe ich mich an diese Worte erinnert. Herausfordernd sind für mich tatsächlich nicht die Klienten, die schon vor dem Betreten des Beratungsraums anfangen zu reden. Herausfordernd sind diejenigen, die auf jede Frage nur eine knappe Antwort geben, um danach wieder in Schweigen zu versinken.
Gezielte Fragetechnik und methodisches Arbeiten können Türöffner sein, um zähe Verläufe zu entkrampfen. Wenn gar nichts geht, erinnere ich mich an die Redewendung: „Ich bin ganz Ohr!“ Ich sage diesen Satz, um einen Raum des Gesprächs zu eröffnen, und vertraue dem anderen, dass er ihn so füllen wird, wie es ihm gerade guttut. Von schweigsamen Personen – häufig Männern – habe ich die Rückmeldung bekommen, dass dieses Signal ihnen hilft: Da ist jemand „ganz Ohr“ für mich. Das gilt nicht nur für ein Beratungsgespräch.


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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, März/April 2025.
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