6. August 2025

Alles andere als kuschelig

Von nst5

Welche Rolle spielen Tiere in meinem Leben?

Ein persönlicher Antwortversuch berührt viele Aspekte, auch unbequeme, und hält eine herausfordernde Einladung bereit.

„Wie seid ihr denn auf dieses Thema gekommen?” Das haben uns einige gefragt – mal schwang Neugierde, mal Erstaunen, mal Ungläubigkeit mit. In einer erweiterten Redaktionsrunde sagte jemand sogar: „Angesichts der Nachrichten aus aller Welt fragen sich Menschen, was da gerade passiert; gefühlt brennt es an allen Ecken und Enden und dann kommt in der NEUE STADT das Thema ‚Leben mit Tieren’.“ Das klang besorgt, dass das Thema zu soft oder zu banal sein könnte.
Die Wahl eines Themas hat immer mehrere Aspekte. Aktualität ist einer davon, Ausgewogenheit der Themenbereiche im Lauf eines Jahres und Abwechslung sind andere. Einmal etwas über Tiere zu machen, war schon öfter an uns herangetragen worden – wir haben es immer wieder aufgeschoben. Nun spielte auch mit, dass die Juli/August-Ausgabe viele in und durch die Ferien begleitet und deshalb – trotz allem Ernst – auch eine gewisse Leichtigkeit haben darf. Trotzdem: Kuschelig ist das Thema aus meiner Sicht nicht.
Wie bei jeder Ausgabe haben wir uns zunächst über unsere Zugänge ausgetauscht, Fragen, Informationen, Beobachtungen, Erfahrungen geteilt. Ich möchte Sie gern ein wenig mitnehmen auf diesen Weg, den wir dabei gegangen sind.

Bild: (c) hadkhanong_Thailand (iStock)

Wenn wir an Umwelt denken, meinen wir meist zuerst die Natur, das Klima, den Umweltschutz. Tiere spielen oft erst dann eine Rolle, wenn sie gefährdet sind oder uns gefährlich werden. Oder wenn es um artgerechte Haltung oder den (zu hohen) Fleischkonsum geht.
Das Leben mit Tieren hat eine große Spannbreite – von den Wildtieren und ihren Lebensräumen über die Bedeutung der Tiere in Ökosystemen bis hin zu den Haus- und Nutztieren mit den Fragen der Massentierhaltung und des Tierschutzes.
Persönliche Erinnerungen und Berührungspunkte spielen da wahrscheinlich nicht nur bei uns in der Redaktion eine entscheidende Rolle beim Zugang. Seien es die Erfahrungen mit dem eigenen Meerschweinchen, dem Hund des Nachbarn oder die Diskussionen in der Familie, ob ein Tier angeschafft wird. Ich selbst komme von einem Hof. Es gab Pferde, Kühe, Rinder, Schweine, Hühner, einen Hund und viele Katzen. Was für viele idyllisch klingt, war es für mich nicht. Auch wenn jede Kuh einen Namen hatte, genauso wie der Hund und die Katzen. Bis alle gut versorgt waren, bedeutete das auch viel Einsatz und Arbeit. Ich glaube nicht, dass ich in irgendeiner Weise traumatisiert bin. Trotzdem kann ich heute ganz gut ohne Tiere leben. Ganz anders meine Schwester; ohne ihren Hund und die Katzen wäre sie nur ein halber Mensch.
Geschichtliche und gesellschaftliche Entwicklungen haben dazu geführt, dass die meisten von uns heute kaum noch einen direkten natürlichen Kontakt zu Tieren haben. Industrialisierung, Urbanisierung und wohl auch die Schnelllebigkeit unserer digitalisierten Zeit führten dazu, dass wir ihnen in unseren „normalen“ Lebenswelten längst nicht mehr so unmittelbar begegnen wie viele Generationen vor uns. Tierschutz und Fragen der artgerechten Haltung stehen nicht zuletzt infolge dieser Entwicklungen bei vielen Menschen in Europa ganz weit oben auf der Sorgenliste. Andere sehen mit ebensolcher Sorge, wie Tiere verhätschelt, umsorgt und wie Menschen behandelt werden.
Welche Rolle spielen Tiere im Leben von Menschen und wie ist unser Blick auf sie? Je mehr wir uns diesen Fragen stellten, umso mehr spürte ich, wie unbequem sie mir wurden. Sah ich sie zu einseitig als Nutz-Objekte, zu distanziert? War mein Urteil über die eine oder andere Ausdrucksform der Zuneigung zu hart? Und hatte ich mir vielleicht meine Sensibilität in Sachen Tierhaltung und Tierschutz nur eingeredet?
Was ist der richtige Blick darauf? Als Christin fragte ich mich, welche Rolle mein Bild der Schöpfung dabei spielte. Interessanterweise fiel mir dann die eine oder andere Geschichte von Heiligen ein: Den Einsiedler Ägidius versorgt demnach eine Hirschkuh mit Milch, Franz von Assisi zähmt den Wolf und predigt den Vögeln, Antonius den Fischen. Solche Erzählungen vermitteln eine tiefe Verbundenheit aller Geschöpfe. Sie sprechen von einem tiefen Einklang mit allem Sein. Da schwingt etwas mit von der paradiesischen Harmonie des Anfangs. Zugleich klingt eine tiefe Verbundenheit alles Lebendigen mit, die im Buch des Propheten Jesaja als ferner Ausblick so beschrieben wird: „Dann findet der Wolf Schutz beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, Kuh und Bärin freunden sich an.“
Wenn ich unter diesen Vorzeichen auf das Leben mit Tieren schaue, geht es um Beziehung in einem umfassenden Sinn. Ist die Frage nach der Würde des Tiers dann nicht auch die Frage nach der Würde des Menschen? Alles ist mit allem verbunden. Sagt mein Umgang, mein Blick auf Tiere dann nicht auch etwas über mich?
Im berühmten Sonnengesang von Franz von Assisi beschreibt er die Vision einer radikalen Geschwisterlichkeit. Franziskus gilt als Tierliebhaber. Seine Liebe zu den Tieren hat jedoch weniger den Charakter von sentimentaler Kuscheltiermentalität, sondern entspringt seiner Gottesbeziehung. Für ihn schimmert in allem Geschaffenen und somit auch in den Tieren das Göttliche immer durch. Franziskus nimmt die Tiere als eigenständige Wesen wahr. Wie alles Geschaffene verweisen sie auf Gott als Schöpfer. Als „Schwestern“ und „Brüder“ sind sie Teil der „göttlichen Familie“.
Tierschutz, wie wir ihn heute kennen, war Franziskus sicher fremd. Und auch mit Blick auf die ökologische Schieflage können und wollen der Sonnengesang oder andere Schriften von Franziskus keine Patentrezepte geben. Seine Botschaft scheint mir grundlegender und persönlich herausfordernd: Finde zurück zu einer neuen Wachheit für alles Leben, lerne neu staunen über das Schöne und Kostbare in der Schöpfung, lass dein Herz berühren – auch von den Tieren.
Gabi Ballweg


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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, Juli/August 2025.
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