15. Januar 2013

Keine Schwärmerei

Von nst1

Ponyhof, Spaziergang, Wunschkonzert,

Spiel, Streichelzoo, Tanzlokal, Zuckerschlecken. – Diese Begriffe werden gern als Bild für ein leichtes Leben gebraucht, wenn jemand genau das Gegenteil erlebt; nämlich, dass es auch schwere Zeiten gibt, harte Arbeit, Schicksalsschläge, Krankheit, Unfälle, den Verlust des Arbeitsplatzes oder eines lieben Menschen. Dann hört man schnell den Spruch: „Das Leben ist eben kein…!“

Die Erfahrung dunkler Momente im Leben findet sich in nahezu allen Artikeln dieses Heftes wieder. Dennoch ist daraus keine düstere November-Nummer geworden!

Wir schauen in das bewegte Leben von Rolf Michalak, der in 92 Jahren Krieg und Krisen kennengelernt hat.  Von Verbitterung trotzdem keine Spur, wundert sich die über 60 Jahre jüngere Meike Münz, die ihn besucht hat. Dass er sich bis ins hohe Alter eine große Offenheit für jeden, dem er begegnet, und für den rasanten Wandel in der modernen Welt bewahrt hat, hat sie schwer beeindruckt.

Zum Glück gibt es immer wieder Leute, die die Probleme ihrer Mitmenschen sehen, sie sich zu Herzen gehen lassen und die Ärmel hochkrempeln, um ihre Lage zu verbessern. In Berlin zum Beispiel nimmt sich die Caritas derer an, die sich aus finanziellen Gründen keine Brille leisten können. In Kempten ließ es Gottfried Feichter nicht kalt, dass sich viele Zuwanderer aus anderen Ländern im Stadtteil Thingers fremd fühlten: Mit Freizeitangeboten und Sprachpatenschaften hat er mit seinen Mitstreitern vom Verein Ikarus den Wohlfühlfaktor für alle im Quartier nachhaltig verbessert.

Hier wird Liebe zu den Menschen ganz konkret. Sie kann Nöte lindern und Leben lebenswerter machen, kostet aber oft auch Schweiß: Liebe ist Arbeit, Liebe ist Einsatz, Liebe kostet Überwindung. Sie ist mehr als ein romantisches Gefühl, sie ist „nicht Schwärmerei“, heißt es im Kommentar zum Wort des Lebens.

Zu lieben kann auch vergeben heißen. Das verlangt Mut und Stärke, meint aber nicht, zu allem Ja und Amen zu sagen, stellt R. S. Hurd klar. „Mut!“ hat Valeria Ronchetti immer wieder Menschen zugesprochen, die niedergeschlagen oder enttäuscht waren. Sie gehört zu den erstenFokolarinnen und starb vor einigen Wochen. Viele haben sie als Frau in Erinnerung, die eine große Würde ausstrahlte und anderen diese Würde vermittelte . Denn der Mensch hat eine Würde, mit seinen Licht-, aber auch mit seinen Schattenseiten; sein Leben ist nicht nur mit seinen Höhen, sondern auch mit seinen Tiefen wertvoll. Das macht Medizinethiker Giovanni Maio in unserem Gespräch deutlich. Er warnt vor einer Gesellschaft, die den Mensch und die Medizin nur aufgrund von Effizienzkriterien beurteilt, und plädiert stattdessen für eine neue Sorgekultur.

Das Leben ist kein Ponyhof, es ist aber auch nicht nur Jammertal. Gerade das Auf und Ab macht es interessant. Höhen und Tiefen, Licht und Schatten bergen Chancen und Herausforderungen: Sie miteinander zu teilen und gemeinsam durchzustehen, gibt dem Leben Sinn und macht es lebenswert!
Ihr
Clemens Behr

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, November 2012)
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