11. Dezember 2014

Was treibt uns an?

Von nst1

Sich leidenschaftlich für etwas einsetzen oder sich leidenschaftlich nach etwas sehnen, ist die Triebfeder für viele, wenn nicht gar für alle großen Entdeckungen unserer Menschheit. 

Aus dem Artikel unseres italienischen Kollegen Giulio Meazzini über seinen Besuch beim Europäischen Kernforschungszentrum CERN in Genf  kam mir etwas davon entgegen. Da sprang ein Funke über. Dabei bin ich ganz sicher kein Physik- oder Informatikfreak. Je mehr ich aber mit meinen laienhaften Kenntnissen nachvollziehen wollte, worum es bei den Protonenstrahlen, Detektoren, dem Higgs-Teilchen und den Experimenten geht, umso mehr faszinierte mich die Welt, die sich vor mir auftat. Aber meine Faszination hatte nicht nur hehre Gründe: Da spielte auch eine Spur von Neid mit – über die Klarheit, Zielstrebigkeit und Entschlossenheit, die ich wahrnahm, und von denen ich im Moment selbst gern mehr für mich hätte. Manches hätte dann eine größere Leichtigkeit.

Und ist Faszination nicht auch der Beweggrund der Jugendlichen, die sich ein Jahr auf fremde Kulturen, andere Sprachen und ungewohntes Essen, auf ein Abenteuer weit weg von ihren Freunden und ihrer Familie einlassen?  Faszination treibt sie an, setzt Kräfte frei, lässt sie Hindernisse überwinden und sprengt Grenzen.

Etwas leidenschaftlich Brennendes erahnte ich auch im Gespräch mit dem Augsburger Pastoralreferenten Andreas Ihm, der zusammen mit einer kleinen Equipe schon im dritten Jahr mit einer ganz einfachen Idee und viel Einsatz zahllose Studenten an den Hochschulen zu einer sagenhaften Leistung anregte: Über 3500 Päckchen für bedürftige Menschen kamen so mit einem überschaubaren persönlichen Einsatz zusammen.

Leidenschaftliche Hingabe hat etwas Anziehendes. Aber im Extremfall kann daraus auch Fanatismus, Besessenheit werden. Das sehen wir auf sehr grausame Weise bei der Terrormiliz „Islamischer Staat“, deren Gewalt gegen Andersgläubige einmalig in der Geschichte der islamischen Welt ist, wie auch die Berliner Arabistin Angelika Neuwirth in unserem Gespräch unterstreicht

Ja, Begeisterung kann kippen, die Leidenschaft für eine Entscheidung nachlassen. Was hält unsere Familie zusammen und uns selbst auf den Beinen, auch wenn noch so viel zu tun und äußerlich alles ganz anders ist, als wir es uns ausgemalt hatten? Was treibt uns an? In ihrem Weihnachtsbrief  fand eine Familie eine scheinbar simple Antwort: „Es geht um das Kind!“ – Sie meinen damit auch Jesus, dessen Geburt vor über 2000 Jahren wir jedes Jahr an Weihnachten feiern. Was hat er uns heute zu sagen – in der Situation in der wir stecken, in der Routine, Schwachheit und Begrenztheit, die wir an uns und anderen erleben, im Glanz und in den Lichtern?

Ich wünsche uns allen, dass wir in diesen advent- und weihnachtlichen Tagen diesen Fragen nachgehen. Und ich wünsche uns dabei einen unverhüllten Blick auf das Kind. Dass wir neu entzündet und beschenkt werden von seinem letztlich unergründlichen, unfassbaren, überraschenden, leidenschaftlichen Geheimnis, von jener Leidenschaft Gottes, die sich darin auch dieses Jahr ganz neu zeigen will.

Ihre

Gabi Ballweg

 

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Dezember 2014)
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