Für eine bessere Welt
Die Welt steht vor großen Herausforderungen.
Um einen Beitrag zu deren Lösung zu geben, hat sich ein originelles Bündnis von Marxisten und Christen vor zehn Jahren auf den Weg gemacht. Herausgekommen sind gemeinsame Initiativen und – tiefe Freundschaften.
Es war nicht nur für die Dialogpartner ein bemerkenswertes Ereignis. Schließlich ist die Beziehung zwischen Marxisten und Christen geschichtlich alles andere als unbelastet. Dass sich da eine Gruppe von ihnen gemeinsam auf den Weg zu einer besseren Welt macht, lässt aufhorchen und löst auch die eine oder andere kritische Nachfrage aus. Noch dazu, wenn dieser Weg sie sogar zu einer Privataudienz mit Papst Franziskus in den Vatikan führt – wie das am 10. Januar 2024 der Fall war.
Die 15 Frauen und Männer, die an der Audienz teilnahmen – sieben aus der politischen Linken und acht aus der katholischen Kirche –, gehören zum 2014 begonnenen interdisziplinären Dialogprojekt „DIALOP“. Gemeinsam setzen sie sich für einen Dialog zwischen Menschen mit weltlichem und religiösem Hintergrund, insbesondere zwischen Sozialisten mit marxistischem Hintergrund und Christen, ein. In Zusammenarbeit mit Universitäten und Bildungseinrichtungen geht es darum, eine neue, gemeinsame Sozialethik zu entwickeln und umzusetzen, welche „die Grundsätze der Marxschen Sozialkritik und der Soziallehre der Kirche anwendet“.
„Letztlich verbindet uns der Wunsch nach einer besseren Welt“, bringt Franz Kronreif die gemeinsame Sehnsucht dieses „kühnen Unterfangens“ auf den Punkt. Eine über die Jahre gewachsene Freundschaft verbindet den in der Fokolar-Bewegung beheimateten Architekten seit 1998 mit Walter Baier, dem langjährigen Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Österreichs und derzeitigen Präsidenten der Europäischen Linken. Dabei haben beide immer wieder festgestellt: „Viele konkrete Anliegen teilen wir.“ So waren sie mehrmals beim Weltsozialforum, setzten sich vor dem dritten Golfkrieg (2003) gemeinsam dafür ein, ihn zu verhindern und kamen so sogar ins österreichische Fernsehen, als „eine Friedensbewegung neuen Typs“. Zu originell erschien ihr Bündnis. Dass sie dafür schon damals Kritik ernteten – Baier in der Partei und Kronreif im kirchlichen Umfeld –, war aber wohl ein Schlüsselmoment für ihre Freundschaft. Diese führte dann zu weiteren Kontakten im Umfeld des jeweils anderen und im Herbst 2014 schon zu einer ersten Audienz: Papst Franziskus hatte damals Alexis Tsipras, den späteren griechischen Ministerpräsidenten, Walter Baier, damals Vorsitzender des linken europäischen Netzwerkes „transform“, und Franz Kronreif empfangen. „Das war ein entscheidender Moment“, erzählt Walter Baier in einem Interview. Weil keiner die Probleme der Menschheit allein lösen könne, hatte der Papst dazu ermutigt, transversal, also quer über alle Positionen, zusammenzuarbeiten.
Inzwischen hat das Netzwerk viele Etappen durchlaufen, große und kleine Schritte gemacht, auch manche Höhen und Tiefen erlebt. „Dialog braucht einen langen Atem“, unterstreicht Luisa Sello aus Wien, „er braucht Beständigkeit und die Bereitschaft, auch über Differenzen zu reden, sie nicht auszusparen.“ Walter Baier drückt das so aus: „Freundschaft und Solidarität sind der Hauptinhalt dessen, was wir gemeinsam tun.“ Und: „Dialog heißt vor allem zuhören und versuchen, die Dinge mit den Augen des anderen zu sehen. Die DIALOP-Erfahrung hat mich verändert: Bei Entscheidungen und Diskussionen versuche ich nun immer, mich zu fragen, ob das, was ich tue, von Liebe geleitet ist.“
Seit 2014 hat das Netzwerk verschiedene Symposien veranstaltet und eine Sommerschule mit etwa 40 jungen Leuten auf der griechischen Insel Syros. „So wurde unser Dialog immer stabiler“, erklärt Walter Baier. „Er hat Kontinuität bekommen. Zurzeit führen wir ein Projekt durch, bei dem junge Wissenschaftler der Fokolar-Bewegung mit jungen Forschern von ‚transform!europe’ zusammenarbeiten.“ Im letzten Jahr hat das Netzwerk seinen Einsatz für eine bessere Zukunft auch beim Weltjugendtag in Lissabon eingebracht. Über die Jahre haben sie auch eine eigene Methodik für ihren Dialog entwickelt und beschreiben diese auf ihrer Homepage in einem Papier. Es geht dabei darum, sowohl das einzubringen, worin sie vielleicht auch in unterschiedlichem Maß übereinstimmen (differenzierter Konsens), aber genauso auch bewusst das anzusprechen, wo eben Unterschiede vorhanden sind und diese auch einzuordnen (qualifizierter Dissens).
Daraus ist auch ein Positionspapier mit „Eckpunkten für eine gemeinsame Sozialethik“ hervorgegangen, das DIALOP im November 2022 in Brüssel vor Vertretern des Europäischen Parlaments vorgestellt und nun auch Papst Franziskus übergeben hat. In ihm und seiner Botschaft erkennen sie eine verbindende Figur. Er habe, – so Michael Brie, Professor für Philosophie und langjähriger Direktor des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung – „die Verbindung von Einsatz für die Armen, für die Umwelt und den Frieden ins Zentrum der katholischen Soziallehre“ gerückt. „Begegnungen wie die in Rom zeigen, dass völlig neue Bündnisse möglich sind und gebraucht werden, um in den Zeiten von Kriegen und ideologischer Konfrontation, Umweltzerstörung im globalen Maßstab und anhaltender weltweiter Armut ein hartes Nein zu diesen Entwicklungen zu formulieren und an konkreten solidarischen Alternativen zu arbeiten.“
Am 10. Januar blieb Papst Franziskus statt der ursprünglich vorgesehenen zehn fast vierzig Minuten im Gespräch mit der Gruppe: „Gebt nicht auf, hört nicht auf, von einer besseren Welt zu träumen. Wie oft waren im Lauf der Zeit gerade die großen Träume von Freiheit und Gleichheit, Würde und Geschwisterlichkeit ein Spiegelbild des göttlichen Traums, die zu Wandel und Fortschritt geführt haben.“
Die katholische Sozialethikerin Petra Steinmair-Pösel aus Innsbruck fasst weitere Inhalte in drei Punkten zusammen: „Erstens: Dass wir Mut haben, mit Traditionen zu brechen und im Dialog mit offenem Herzen auf andere zu gehen. Zweitens, dass wir die Menschen am Rand der Gesellschaft nicht vergessen. … Und drittens, dass wir mutig gegen Korruption und Machtmissbrauch eintreten sollen, für Integrität und Ehrlichkeit.“
Mit der Rückendeckung der bewegenden Begegnung im Vatikan fand direkt im Anschluss ein dreitägiges Seminar am Universitätsinstitut SOPHIA in Loppiano statt, bei dem es mit über 50 Teilnehmenden um die Vertiefung der „Integralen Ökonomie“ ging, über die Papst Franziskus in seiner Enzyklika Laudato Sì gesprochen hatte.
Im Herbst steht bei einem DIALOP-Projekt der Einsatz für den Frieden im Vordergrund. Dazu sagt Cornelia Hildebrandt, Co-Präsidentin von „transform!europe“ aus Berlin: „Es gibt Kriege, also brauchen wir eine große Allianz für den Frieden.“ Und: „Wichtig ist, dass wir in diesem Dialog weiter zusammenarbeiten, für dasselbe Ziel, auch wenn wir uns der Unterschiede zwischen uns bewusst sind, … Wir wollen gemeinsam nach Wegen zum Frieden suchen und die ‚Kultur des Dialogs’ bekräftigen: ohne die Unterschiede zu ignorieren, sind wir Freunde und können gut zusammenarbeiten.“
Gabi Ballweg
DIALOP
steht für „Transversales Dialog Projekt“ zwischen Marxisten und Christen. Beteiligt sind Vertreter von „transform!europe“ – das Netzwerk aus 39 Organisationen aus 23 Ländern ist die anerkannte europäische politische Stiftung der Europäischen Linken –, vom Vatikan, von der Fokolar-Bewegung und diversen Universitäten in Europa. Ziel ist es angesichts der großen sozialen, ökologischen und gesellschaftspolitischen Herausforderungen über weltanschauliche Grenzen hinweg einen gemeinsamen Schritt hin auf mehr Solidarität und Geschwisterlichkeit zu machen.
www.dialop.eu
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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, März/April 2024.
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