5. Februar 2025

Hoffnung ist ein Tu-Wort

Von nst5

Wie ist es um unsere Zuversicht bestellt?

Impulse und Gedanken – nicht nur für den Beginn eines neuen Jahres

„Wenn ich nur diesen einen Moment rückgängig machen könnte!“, sagte der Vater eines inzwischen vierjährigen Mädchens. Er ist zusammen mit seiner Partnerin bei mir in der psychotherapeutischen Praxis. Einige Monate zuvor hatte er am Abend versehentlich eine Flasche Abflussreiniger in der Nähe des Bettes der Kleinen stehen lassen. Seine Tochter bekam nachts Durst und nahm einen Schluck aus der vermeintlichen „Wasserflasche“. Infolgedessen erlitt das Kind eine Verätzung der Speiseröhre; mehrere Operationen waren notwendig und noch heute beeinträchtigt dieser Unfall sie und die ganze Familie, der Vater hatte inzwischen depressive Symptome entwickelt.
Die Verzweiflung in den ersten Wochen und Monaten sei groß gewesen und packe die Eltern auch heute noch. „Was hat Ihnen geholfen, diese schreckliche Zeit durchzustehen?“, fragte ich sie. „Wir hatten eine Hoffnung, von der wir selbst nicht wissen, wo sie herkam. Die hat uns angetrieben.“
In der psychotherapeutischen Forschung hatte Hoffnung lange Zeit keinen ganz so guten Ruf. Sie wurde eher damit verbunden, die Augen vor bedrohlichen Realitäten zu verschließen und sich in ein gefühliges positives Wunschdenken zu träumen. Sie hatte wenig damit zu tun, Schwierigkeiten anzugehen oder Handlungsimpulse aus ihr heraus zu erzeugen. Anstatt etwa potenziell Konflikthaftes in einer Beziehung anzusprechen, würde man dementsprechend „hoffen“, dass sich von allein etwas ändern würde. Es galt das Motto: „Hoffst du noch, oder tust du schon was?“

Neue Lesart
Dieser Aspekt ist sicherlich nicht von der Hand zu weisen. Mit der Zeit aber veränderte sich die Lesart von Hoffnung in Richtung Zuversicht und Aktivität. Sie gilt inzwischen als wichtiger Wirkfaktor, persönliche und gesellschaftliche Verbesserungen anzugehen. Hoffnung beschreibt den Glauben daran, dass Dinge gut oder zumindest besser werden können. Wer mit Hoffnung und Zuversicht an Aufgaben herangeht, der lässt sich auch von Rückschlägen nicht entmutigen.
Ausgerechnet ein Experiment mit Ratten bestätigte diese Sichtweise: In einer Versuchsanordnung, die heute durch keine Ethikkommission mehr kommen würde, wurde getestet, wie lange Ratten versuchen, sich in einem gefüllten Behälter über Wasser zu halten. Man verglich dabei Ratten, die aus der freien Wildbahn kamen, mit gezüchteten. Entgegen der Annahme waren es die gezüchteten, die um ein Vielfaches länger strampelten. Konnte es sein, dass es eine Art Zuversichtserfahrung gibt, die diese Tiere länger durchhalten ließ? Im zweiten Teil des Versuchs wurden die wilden Ratten, als sie unterzugehen drohten, gerettet, und später noch einmal ins Wasser gegeben. Und siehe da: Nun strampelten auch sie ähnlich lang wie ihre gezüchteten Artgenossen. Hoffnung und Zuversicht, so die Übertragung auf uns Menschen, weckt Kräfte in uns, lässt uns dranbleiben und darüber hinaus Unterstützung organisieren. Sie scheint eher das Gegenteil eines ängstlich-sorgenvollen Blicks auf Herausforderungen zu sein. Anders gesagt: „Hoffnung ist ein Tu-Wort.“
Wie ist es um unsere Hoffnung und Zuversicht bestellt, und was gibt uns Hoffnung? Dieser Frage gehen Forschende der Universität St. Gallen nach. Sie erheben seit 15 Jahren in der Schweiz das „Hoffnungsbarometer“. Ein Trend zeigt sich dabei deutlich: Während die persönliche Hoffnung und Zuversicht auf ein gutes Leben auf einem recht hohen Level stabil bleibt, ist die Hoffnung auf gesellschaftlich gute Entwicklungen ob der vielen globalen Krisen sehr gering ausgeprägt.
Studienleiter Andreas Krafft macht gerade bei jüngeren Menschen „Hilflosigkeit, Perspektivlosigkeit und Gleichgültigkeit“ fest. Er plädiert deshalb dafür, dass „neue positive Narrative wünschenswerter Zukunftsbilder erzeugt werden, damit sich Menschen privat, beruflich und gesellschaftlich verstärkt für die gemeinsamen Ziele engagieren.“ Auch er betont, dass Hoffnung nichts mit positivem Denken oder Schönreden zu tun habe. Hoffnung beginne dann, so Krafft, wenn wir aufhören, Problematisches zu negieren.

Hoffnungsquellen
„Woher kommt die Hoffnung?“ Auch diese Frage können die Forschenden zum Hoffnungsbarometer beantworten. Vier Faktoren haben sich über die Jahre hinweg als sehr stabil gezeigt:

1. Soziale Beziehungen. Freunde, Partner, Familie, Kollegen, die zu uns stehen und an uns glauben.
2. Begegnung mit etwas Größerem als uns selbst. Hier wurden zuvorderst Naturerlebnisse geschildert, aber auch spirituelle Erfahrungen.
3. Selbstvertrauen. Persönliche gute Erfahrungen, Erfolge, bewältigte Krisen.
4. Gegenseitige Unterstützung. In Krisensituationen Hilfe geben und Hilfe empfangen können.
Die Forschungsergebnisse können uns anregen, die eigene Zuversicht und Hoffnung zu stärken. Wir können uns zum Beispiel fragen:
– Wenn ich an herausfordernde Situationen in meinem Leben zurückdenke: Was hat mich gestärkt? Wie habe ich sie überwunden? Wer war daran beteiligt? Welche Einsichten habe ich daraus gewonnen?
– Wo sind für mich Orte und Zeiten, an denen ich mit etwas Größerem als mir in Kontakt komme?
– Welche Menschen stärken in mir die Zuversicht und den Glauben, dass etwas gut werden kann?
– Wer würde vielleicht von mir sagen, dass ich ihm/ihr Zuversicht und Mut geschenkt habe?
– In welchen Gruppierungen engagiere ich mich, um an der Verbesserung von Umständen zu arbeiten?
– Wem vertraue ich so sehr, dass ich mich ihm/ihr in Krisenzeiten anvertrauen kann?
– Wann habe ich zuletzt etwas gemacht, auf das ich richtig stolz bin?
Auch mit der eingangs erwähnten Familie bin ich auf Spurensuche nach den Quellen ihrer Zuversicht gegangen, um sie vielleicht noch weiter zum Wohle ihrer Tochter ausbauen zu können. Sie erinnerten sich daran, wie sie einander manchmal einfach nur weinend im Arm hielten. Wie gut es ihnen getan hat, wenn andere das Schweigen überwinden konnten und sich mit einer Geste an sie wandten. Wie ein Lächeln ihrer Tochter sie darin bestärkte, dass da nicht nur Schmerzliches war.
Mich beeindruckte diese Zuversicht und regte sie auch in mir selbst an. Der herausforderndste Teil der Arbeit kam dann zum Schluss: sich selbst zu vergeben und die Zuversicht zurückzugewinnen, gut für die Tochter zu sein.
Sebastian Baumann

Sebastian Baumann
ist Psychotherapeut und betreibt eine Praxis in Mannheim.

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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, Januar/Februar 2025.
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