16. März 2016

Kollegial

Von nst1

„ Das ist zu komplex, verlangt zu viel Disziplin, klappt in Afrika nie und nimmer. Völlig utopisch!“

Das war sinngemäß die Reaktion, die sich die Leute von Sant’Egidio anhören mussten, als sie 2002 in Mosambik mit dem DREAM-Programm den Kampf gegen die Immunschwächekrankheit Aids aufnehmen wollten. Mittlerweile unterhält die Gemeinschaft in zehn Ländern des Kontinents 46 Therapiezentren und hat 300 000 Menschen behandelt. Auch wenn das HI-Virus noch lange nicht besiegt ist und es gerade in Afrika bei der medizinischen Versorgung noch viele weiße Flecken gibt, ist längst anerkannt: Gegen Aids ist durchaus auch dort ein Kraut gewachsen! Freilich haben dazu zahllose andere Initiativen genauso beigetragen.
Woran liegt es, dass das DREAM-Programm von Sant’Egidio allen Unkenrufen zum Trotz so erfolgreich ist?
Auch wenn Europäer Triebfeder sind, Anstöße geben und Knowhow einbringen, sind Afrikaner doch ebenbürtig eingebunden, professionell und ehrenamtlich, tragen Verantwortung als Ärzte, Krankenschwestern, Pfleger, Laboranten: Kollegen auf Augenhöhe. Die Hilfestellung aus Europa kommt nicht von oben herab, sondern aus echter Anteilnahme am Leid der Afrikaner. Sie stülpt keine Konzepte über, verkauft keine Produkte, hat keine eigennützigen Hintergedanken. Europäer und Afrikaner, Christen und Muslime arbeiten Schulter an Schulter, Hand in Hand.
Medikamente werden nicht nur „verabreicht“, Therapien nicht einfach „angewandt“. Vielmehr werden den Patienten Zusammenhänge, Wirkungen, Absichten erklärt. Ihre Lebensumstände, verwandtschaftlichen Bindungen, Ängste werden berücksichtigt; Ernährung und Bildung verbessert. Sie sind persönlich bekannt, das Personal nimmt sich Zeit. Das „Programm“ verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz und lebt von menschlicher Zuwendung, die ihre Wurzeln in einer spirituellen Überzeugung hat.
Die Aids-Patienten können für das, was sie an Diensten, Gesundheit und neuer Lebensqualität erhalten, etwas zurückgeben, setzen sich ein für andere, helfen, ermutigen, motivieren: Geben und Nehmen sind gegenseitig.
Ein solch partnerschaftliches, solidarisches Miteinander ist ein Dialog des Lebens. Dialog, der nicht nur intelektuelles Gespräch bedeutet, sondern auch gemeinsames Handeln in Freundschaft. Das setzt Maßstäbe, das hat Zukunft!
Beim Durchblättern dieses Heftes können Sie weitere Anstrengungen für lebendigen Dialog, kollegiales Miteinander entdecken: Wenn Talat Kamran über die Folgen der Zuwanderung für muslimische Gemeinden und inzwischen her beheimatete Migranten spricht, eine „Allianz für Weltoffenheit“ sich für Menschenwürde stark macht.
Ingrid Schiller von ihrem Einsatz in einer Flüchtlingsunterkunft erzählt.
Als Jugendlicher hat mich Herman van Veens „kleine Geschichte von Gott“ sehr angesprochen. Der niederländische Künstler malt darin aus, wie es Gott wohl bei einem Besuch auf der Erde erginge. Die Geschichte endet damit, dass er sich auf eine Bank neben einen Menschen setzt, die Beine übereinanderschlägt und sagt: „Kollege!“

Ihr

Clemens Behr

 

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, März 2016)
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